Die Synergetik-Therapie ist eine Technik, bei Menschen im Zustand
tiefer Entspan-nung Bilder aus der Vergangenheit ins Bewusstsein zu rufen bzw.
zu rekonstruieren und für eine kognitive Umstrukturierung tatsächlicher
Erfahrungen zu nutzen. Dabei wird das menschliche System, das ist die Integration
von Körper, Geist und Seele, als ein selbstorganisierendes (autopoietisches)
System begriffen. Die Technik der Synergetik-Therapie basiert darauf, das System
durch eine Veränderung innerer Bilder in ein Ungleichgewicht zu bringen.
Nach dem vorübergehenden (temporären) Chaos strebt das System im Sinne
des Prinzips der Selbstorganisation eine neue Ordnung an, die als eine Ordnung
auf einer höheren Ebene bezeichnet werden kann.
Da die Neuorganisation nicht nur die geistigen, sondern auch die körperlichen
Strukturen betrifft, kann mit der Neuorganisation auch eine Heilung körperlicher
und psychischer Krankheiten eintreten. Da diese Heilung nicht mit zielgerichteten
Mitteln erfolgt, sondern durch die Selbstorganisation hervorgerufen wird, spricht
man auch von Selbstheilung.
Dieses Gutachten
strebt keine Bewertung dieser Technik und ihrer theoretischen Fundierung an,
sonder bezieht sich allein auf die Frage, auf welchen Bewusstseinsebenen die
Interaktion und Kommunikation zwi-schen dem Synergetik-Therapeuten und den Klienten
sowie die kognitive Rekonstruktion seitens des Klienten stattfindet und in welchen
Bewusst-seinszustand die Klienten durch die Synergetik-Therapie gebracht werden.
Die Begutachtung beruht auf eigenem Erleben der Technik, auf Be-obachtung von
Synergetik-Therapien mit Klienten, auf dem Studium schriftlichen Materials sowie
einer Befragung des Begründers der Sy-nergetik-Therapie, Bernd Joschko
und seiner Mitarbeiterin Frauke Dietz.Zentraler Bestandteil der Synergetik-Therapie
ist das Versetzen des Klienten in den Zustand einer körperlichen und geistigen
Tiefenentspannung zu Beginn jeder Sitzung. Dies geschieht mit herkömmlichen
Methoden, d.h. bequeme Körperlage, meditative Musik, sedierend vorgetragene
verbale Instruktion und Verbinden der Augen. Die Instruktion zur Entspannung
ähnelt sehr stark der Anleitung zur progressiven Muskelentspannung nach
Jacobsen und nur in geringen Anteilen der suggestiveren Texten des autogenen
Trainings. Es wird kontrolliert, ob der Klient normal ansprechbar bleibt und
er den Zustand als angenehm empfindet. Es findet an keiner Stelle eine Fokussierung
der Aufmerksamkeit statt, wie es Bestandteil hypnotisierender Techniken ist.
Dieser Entspannungszustand ist notwendig für eine flüssige Aktualisierung
innerer Bilder. Die tiefe körperliche Entspannung schränkt starke
Kontrollmechanismen ein und verhindert das Aufkommen von Angst. Dieses Wirkprinzip
unterscheidet sich nicht von dem Einsatz körperlicher Entspannung in der
Verhaltenstherapie. Insbesondere handelt es sich bei dem primär körperlichen
und sekundär auch mentalen Entspannungszustand nicht um tranceartige, hypnotische
Zustände oder solche, in denen unbewusste Inhalte im Sinne der Psychoanalyse
zugänglich und die Ich-Kontrolle eingeschränkt wäre.
Derartige Zustände wären für die Synergetik-Therapie geradezu
contraindiziert, da die Rekonstruktion innerer Bilder und die Kommunikation
mit dem Synergetik-Therapeuten einen wachen mentalen Zustand erfordern, in dem
Entscheidungen getroffen (z. B. wie man Personen, die in den inneren Bildern
auftreten, anspricht) und logische Schlussfolgerungen gezogen werden können.
Auch jede unidirektionale Kommunikation wie Suggestionen haben im Konzept der
Synergetik-Therapie keinen Platz, da es gerade um die Unterstützung von
Selbsterkenntnisprozessen geht. Eine Einflussnahme durch den Synergetik-Therapeuten
würde das Auffinden und selbsttätige Verändern innerer Bilder
behindern und könnte die Authentizität der Rekonstruktion innerer
Bilder gefährden.
Fälle, in denen unbeabsichtigter Weise tranceartige Zustände aufgetreten
wären, sind nicht bekannt. Techniken der Induktion von hypnotischen Zuständen
werden von den Ausbildern und den Synergetik-Therapeuten in der Regel nicht
beherrscht, was wohl den besten Schutz vor missbräuchlicher oder unbeabsichtigter
Anwendung darstellt.
Dagegen sind die erlernten Fragetechniken dergestalt, dass suggestive Effekte
minimal gehalten werden. So werden z. B. Aufforderungen, die Reise durch die
Innenwelt fortzusetzen, nicht in Form eines Anstoßes in eine bestimmte
Richtung gegeben, sondern als Aufforderung, mal darüber nachzudenken, wie
der nächste Schritt aussehen könnte. Zudem werden stets mehrere mögliche
Alternativen mit Beispielcharakter hinzugefügt.
Zusammenfassend sei festgehalten, dass in Sitzungen der Synergetik-Therapie
keine hypnotischen Zustände induziert werden, derartige Bewusstseinszustände
gar nicht in das Konzept der Synergetik-Therapie passen und sogar Vorsorge getroffen
ist, dass Zustände vermieden werden, in denen die Klienten einer erhöhten
Suggestibilität ausgesetzt wären. Die Aussage, es würde in der
Synergetik-Therapie mit hypnotischen Zuständen gearbeitet ist nicht aufrecht
zu erhalten.
Prof. Jürgen Rost