Prof. Dr. Jürgen Rost (Uni Kiel)

Gutachten über die Rolle unterschiedlicher Bewusstseinszustände in der Synergetik-Therapie

Die Synergetik-Therapie ist eine Technik, bei Menschen im Zustand tiefer Entspan-nung Bilder aus der Vergangenheit ins Bewusstsein zu rufen bzw. zu rekonstruieren und für eine kognitive Umstrukturierung tatsächlicher Erfahrungen zu nutzen. Dabei wird das menschliche System, das ist die Integration von Körper, Geist und Seele, als ein selbstorganisierendes (autopoietisches) System begriffen. Die Technik der Synergetik-Therapie basiert darauf, das System durch eine Veränderung innerer Bilder in ein Ungleichgewicht zu bringen. Nach dem vorübergehenden (temporären) Chaos strebt das System im Sinne des Prinzips der Selbstorganisation eine neue Ordnung an, die als eine Ordnung auf einer höheren Ebene bezeichnet werden kann.
Da die Neuorganisation nicht nur die geistigen, sondern auch die körperlichen Strukturen betrifft, kann mit der Neuorganisation auch eine Heilung körperlicher und psychischer Krankheiten eintreten. Da diese Heilung nicht mit zielgerichteten Mitteln erfolgt, sondern durch die Selbstorganisation hervorgerufen wird, spricht man auch von Selbstheilung.

Dieses Gutachten strebt keine Bewertung dieser Technik und ihrer theoretischen Fundierung an, sonder bezieht sich allein auf die Frage, auf welchen Bewusstseinsebenen die Interaktion und Kommunikation zwi-schen dem Synergetik-Therapeuten und den Klienten sowie die kognitive Rekonstruktion seitens des Klienten stattfindet und in welchen Bewusst-seinszustand die Klienten durch die Synergetik-Therapie gebracht werden. Die Begutachtung beruht auf eigenem Erleben der Technik, auf Be-obachtung von Synergetik-Therapien mit Klienten, auf dem Studium schriftlichen Materials sowie einer Befragung des Begründers der Sy-nergetik-Therapie, Bernd Joschko und seiner Mitarbeiterin Frauke Dietz.Zentraler Bestandteil der Synergetik-Therapie ist das Versetzen des Klienten in den Zustand einer körperlichen und geistigen Tiefenentspannung zu Beginn jeder Sitzung. Dies geschieht mit herkömmlichen Methoden, d.h. bequeme Körperlage, meditative Musik, sedierend vorgetragene verbale Instruktion und Verbinden der Augen. Die Instruktion zur Entspannung ähnelt sehr stark der Anleitung zur progressiven Muskelentspannung nach Jacobsen und nur in geringen Anteilen der suggestiveren Texten des autogenen Trainings. Es wird kontrolliert, ob der Klient normal ansprechbar bleibt und er den Zustand als angenehm empfindet. Es findet an keiner Stelle eine Fokussierung der Aufmerksamkeit statt, wie es Bestandteil hypnotisierender Techniken ist.

Dieser Entspannungszustand ist notwendig für eine flüssige Aktualisierung innerer Bilder. Die tiefe körperliche Entspannung schränkt starke Kontrollmechanismen ein und verhindert das Aufkommen von Angst. Dieses Wirkprinzip unterscheidet sich nicht von dem Einsatz körperlicher Entspannung in der Verhaltenstherapie. Insbesondere handelt es sich bei dem primär körperlichen und sekundär auch mentalen Entspannungszustand nicht um tranceartige, hypnotische Zustände oder solche, in denen unbewusste Inhalte im Sinne der Psychoanalyse zugänglich und die Ich-Kontrolle eingeschränkt wäre.

Derartige Zustände wären für die Synergetik-Therapie geradezu contraindiziert, da die Rekonstruktion innerer Bilder und die Kommunikation mit dem Synergetik-Therapeuten einen wachen mentalen Zustand erfordern, in dem Entscheidungen getroffen (z. B. wie man Personen, die in den inneren Bildern auftreten, anspricht) und logische Schlussfolgerungen gezogen werden können. Auch jede unidirektionale Kommunikation wie Suggestionen haben im Konzept der Synergetik-Therapie keinen Platz, da es gerade um die Unterstützung von Selbsterkenntnisprozessen geht. Eine Einflussnahme durch den Synergetik-Therapeuten würde das Auffinden und selbsttätige Verändern innerer Bilder behindern und könnte die Authentizität der Rekonstruktion innerer Bilder gefährden.

Fälle, in denen unbeabsichtigter Weise tranceartige Zustände aufgetreten wären, sind nicht bekannt. Techniken der Induktion von hypnotischen Zuständen werden von den Ausbildern und den Synergetik-Therapeuten in der Regel nicht beherrscht, was wohl den besten Schutz vor missbräuchlicher oder unbeabsichtigter Anwendung darstellt.

Dagegen sind die erlernten Fragetechniken dergestalt, dass suggestive Effekte minimal gehalten werden. So werden z. B. Aufforderungen, die Reise durch die Innenwelt fortzusetzen, nicht in Form eines Anstoßes in eine bestimmte Richtung gegeben, sondern als Aufforderung, mal darüber nachzudenken, wie der nächste Schritt aussehen könnte. Zudem werden stets mehrere mögliche Alternativen mit Beispielcharakter hinzugefügt.


Zusammenfassend sei festgehalten, dass in Sitzungen der Synergetik-Therapie keine hypnotischen Zustände induziert werden, derartige Bewusstseinszustände gar nicht in das Konzept der Synergetik-Therapie passen und sogar Vorsorge getroffen ist, dass Zustände vermieden werden, in denen die Klienten einer erhöhten Suggestibilität ausgesetzt wären. Die Aussage, es würde in der Synergetik-Therapie mit hypnotischen Zuständen gearbeitet ist nicht aufrecht zu erhalten.

Prof. Jürgen Rost