Erziehung prägt für immer?

oder die Arbeit mit dem inneren Kind:
Die Seele ist unverwundbar

Klientin, ca. 40 J., 4 Kinder, kommt aus einer Arztfamilie und hatte eine sehr strenge Erziehung. In Beziehungen kann sie sich nicht mitteilen, sondern verschließt sich in jeder Auseinandersetzung. Viele Beziehungen brachen aus diesem Grund auseinander, eine Ehe scheiterte und auch ihr derzeitiger Freund leidet sehr unter dieser Problematik.

Auszug:

Kl: Ich hab so ein komisches Gefühl an den Armen und an den Beinen. (weint) Es ist, als ob mich da Arme anfassen. Das ist unerträglich.(schreit) Ich möchte wissen, wessen Arme das sind! Aber eigentlich ... ich ... eigentlich will ich es gar nicht wissen. Ich will niemandem sagen, du warst das. Ich möchte nur dieses Gefühl loswerden.

Th: Sag es dem Gefühl direkt - ich will dich loswerden.

Kl: Ja, ich will dich einfach loswerden. Ich will niemandem die Schuld geben, obwohl ich merke, es ist auch ein Zwiespalt. Manchmal möchte ich es einfach auch wissen.

Th: Sag dem Gefühl - manchmal möchte ich auch wissen, wo du herkommst.

Kl: Da kommen Situationen, die ich selber erspüren kann, oder die mir erzählt worden sind. Die weiß ich.

Th: Sprech sie aus. Guck mal, was kommt, wenn du sie aussprichst, jetzt.

Kl: Ich weiß, daß ich als kleines Kind wahnsinnig viel geschrien habe und einfach immer festgehalten wurde. Das weiß ich. Das sind Dinge, die mir erzählt worden sind, daß ich einfach ganz schwierig war, daß mein Vater mich ganz oft ins Bett gebracht hat und versucht hat, mich festzuhalten. Sie wollten halt nicht, daß ich wieder aufstehe und wieder schreie.

Th: Laß deinen Vater da sein und sag’s ihm.

Kl: Papa, das allerschlimmste ist, daß du mir später gesagt hast, du hast es mit einem ganz lieben Gefühl getan. Und dann fallen mir einfach Bilder ein ...

Th: Laß sie da sein, jetzt, ist ok., und atme weiter.

Kl: Fotos, auf denen ich mich sehe, wo ich Nachthemden anhab mit zugenähten Ärmeln, weil ich mich immer so zerkratzt hab, weil ... weil ihr als Eltern geglaubt habt, daß ich das als Schutz brauche.

Th: Was ist jetzt? Schau dir mal das kleine Mädchen an.

Kl: Es ist unendlich traurig. (weint) Ich hab das Bild mit dem Nachthemd (verzweifelt) Diese Hände, die nichts tun können. Das Mädchen ist ganz klein, unendlich klein. Dann, dann weiß ich eine Situation. Die kann ich halt immer nur denken, und ich denk, die war schlimm.

Th: Laß sie jetzt da sein.

Kl: Mein Vater versucht mich zum Essen zu zwingen und dann ärgert er sich darüber, daß ich das nicht will. Und er wollte mich immer zwingen. - Der Therapeut fordert zur direkten Konfrontation auf. - Du wolltest immer, daß ich euch nicht tyrannisiere mit meinem Geschrei (fängt an zu zittern).

Th: Laß das Zittern ruhig da sein. Das ist wunderbar - gespeicherte Körperenergie fließt ab .

Kl: Und als ich zwanzig war, da hat mein Vater mir eine Situation erzählt, da konnte ich mir gar nicht vorstellen, daß man sich als Vater überhaupt traut, seinem Kind so etwas zu erzählen. Und das war, daß ich was essen sollte und ich mochte das nicht und mein Vater hat mir den Mund zugehalten, damit ich das esse. Und er hat gesagt, er hat gegenüber eine Uhr gehabt und er weiß heute noch, daß er mir sieben Minuten lang den Mund zugehalten hat. Und wenn ich mir vorstelle, daß man als Kind sieben Minuten lang den Mund zugehalten bekommt ...

Th: Mach das mal, geh nochmal rein in die Situation. Spür das mal. Kein Wunder, daß du nichts mehr redest, manchmal. Drück jetzt mal alles aus. - Die Klientin hält den Mund zu und fängt daraufhin ziemlich schnell, sehr heftig und verzweifelt an, zu weinen. Nach einer Weile beruhigt sie sich und atmet sehr tief durch. - Wie sieht das kleine Mädchen jetzt aus? Sprich mal mit ihm und schau mal, was du ihm sagen möchtest.

Kl: Das ist schön, das kleine Mädchen. Ich seh dich immer noch in diesem Nachthemd, aber im Moment läufst du einfach rum und guckst. Du hast einfach Arme und Beine, die du benutzten kannst, so wie du willst. Du spielst und gehst und guckst. Das Mädchen hat zwar noch die Ärmel zugenäht, aber das spielt gar keine Rolle. Ich glaub’ innen hab ich das nicht verloren. Das kleine Mädchen hat das Gefühl, es ist egal, ob die Hände zugenäht sind oder nicht. Wir können uns jetzt eigentlich nur zulachen irgendwie. Das kleine Mädchen ist schlau. Das Traurige ist nur die ganzen Jahre dazwischen. Da liegen vielleicht 30 Jahre dazwischen und diese zugenähten Ärmel haben halt soviel dunkel gemacht und soviel versperrt und das ist das, was ich jetzt wieder suche. Diese ganze Freude und diese Neugier, dieses Leichte, Spielerische, das in diesem kleinen Mädchen ist. Ich hatte immer das Vertrauen, daß es noch da ist. Aber ich möchte es jetzt wieder leben und wirklich nachhause bringen. Ich weiß, daß du das alles mal gehabt hast.

Th: Hast du Lust wieder drauf?

Kl: Riesige!

Th: Dann sag’s dem Mädchen.

Kl: Ich möchte das einfach wiederfinden.

Th: Hol mal deine Eltern herbei, und das kleine Mädchen soll das ihnen jetzt mal sagen.

Kl: Ja, ich möchte gerne wieder so sein, so fröhlich, neugierig, so lustig, wie ihr es eigentlich kennt. Und ich weiß nicht, warum ihr so eine Angst davor hattet. Wovor hattet ihr denn Angst? Ich spüre das richtig körperlich. Das Komische ist, wenn ich meinen Vater sehe, spüre ich, er kann es kaum aussprechen. Er hat Angst, daß er die Berherrschung verlieren würde. Daß plötzlich Seiten von ihm nach außen kämen, die er so vielleicht verbergen kann. Die hat er in mir wiedergefunden oder gespürt. Zu dir, Papa, hab ich ein sehr schwieriges Verhältnis gehabt. Ich habe dir gegenüber immer geschwiegen, weil ich meinen Kern damit retten konnte. In der Pubertät war mein Schweigen ganz extrem und alles was ich mir erkämpft habe, hab ich mir eigentlich gar nicht erkämpft, sondern ich hab’s mir erschwiegen. Ich hab auch nie eine Auseinandersetzung mit dir geführt, weil ich immer das Gefühl hatte, ich halte dem nicht Stand. Du redest mich immer in die Ecke und ich finde keine Worte und kann dir nicht standhalten. Ich hab das Gefühl, du kennst mich gar nicht. Aber jetzt, seit einem Jahr, kann ich dein Engagement für den Beruf sehr, sehr schätzen. Du hast deine ganze Kraft und Power für eine Sache eingesetzt. Das finde ich faszinierend. Früher hat sich diese Kraft halt gegen mich gewendet. Aber ich hab jetzt das Gefühl, dadurch daß ich von all diesen Fähigkeiten so lange abgeschnitten war, muß ich sie mir jetzt unheimlich bewußt wieder erkämpfen. Und ich weiß, daß wir uns in vielem sehr, sehr ähnlich sind. Ich weiß, daß du ein sehr empfindsamer Mensch bist, aber daß du das ganz wenig nach außen zeigen kannst. Und ich für mich möchte einfach nur Frieden schließen.

Meine Lebendigkeit ist einfach da, die ist einfach da. (lacht) Papa, das war nicht totzukriegen.

 

 

Synergetik Institut
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